Dr. J. C. Rossaint
Der Bundesbruder Dr. Rossaint ist ein besonderes Beispiel für den Widerstand im katholischen Raum während der Naziherrschaft.
 
Josef Rossaint, geb. am 5.8.1902 in Herbesthal/Krs.  Eupen (Belgien), Besuch des Realgymnasiums, Studium der Philosophie und Theologie.
Ab 1927 ist Josef Rossaint als Kaplan, zuerst in Oberhausen und ab 1932 in Düsseldorf tätig.
1928 wird er Mitglied des Friedensbundes Deutscher Katholiken. 1929 tritt Josef Rossaint der Zentrumspartei bei.  Als die Zentrumspartei dem "Ermächtigungsgesetz" zustimmt, tritt er aus unmittelbarem Protest aus.
Am 6.2.1936 wird Josef Rossaint verhaftet und am 28.4.1937 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 11 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt.
Am 01.09.1989 Verleihung des Aachener Friedenspreises.
Er starb im Jahre 1991.
Josef Rossaint berichtet:
1928 trat ich dem Friedensbund Deutscher Katholiken bei, dessen Oberhausener und Düsseldorfer Gruppen ich aufbaute.  Der Friedensbund trat gegen die Remilitarisierung an.  "Wir sprechen der deutschen Regierung das Recht ab, den Weg der Abrüstung zu verlassen", erklärte der Generalsekretär des Friedensbundes, Paulus Lenz.  Dies war angesichts des Ausgangs des Ersten Weltkrieges sehr verständlich.
Dem Friedensbund gehörten ca. 15.000 Mitglieder, darunter manche Geistliche und auch Bischöfe an.  Wir haben eine Menge Veranstaltungen organisiert, z.B. mit der Katholischen Weltjugendliga und dem Internationalen Versöhnungsbund. 1933 wurde der Friedensbund verboten. Alle, die sich für den Frieden einsetzten, galten als Defätisten. Wir haben nach 1933 noch Zettel mit Parolen gegen den Krieg geklebt.
In dem Prozess hat das eine Rolle gespielt.  Uns wurde vorgeworfen, dass wir uns pazifistisch im übelsten Sinne betätigten und sogar Zettel verbreiteten, deren Inhalt sich „gegen den Wehrwillen richtete".
Meine Tätigkeit in der Katholischen Jugend, ich war unter anderem auch bei den Sturmscharen, hing mit meinem Beruf zusammen.  Die Sturmscharen waren jugendbewegt, bündisch geprägt.  Die bündische Jugend, die noch vor dem Ersten Weltkrieg, 1913 auf dem Hohen Meißner ihr Programm entwickelte, war antibürgerlich im moralisch weltanschaulichen Sinne.  Wir in den Sturmscharen vertraten, wie auch manche andere Jugendorganisation, den Gedanken der Aufgeschlossenheit, auch gegenüber den Jugendorganisationen der Arbeiterbewegung.  So habe ich einmal an einem Zeltlager der sozialdemokratischen Jugend, der SAJ, auf der Rheininsel Namedy teilgenommen.  Das war damals gar nicht so selbstverständlich.  Ich weiß noch gut, als ich 1931 oder 1932 der kommunistischen Jugend in einem Brief mitteilte, dass ich einmal zu einer Versammlung von ihnen eingeladen werden möchte, gab es dort große Diskussionen darüber, ob man einen Kaplan einladen könne.  Sie haben mich dann doch eingeladen.  Ich will damit nur verdeutlichen, dass damals noch sehr viel Abgeschlossenheit bestand, die manchem Vorurteil Vorschub leistete.  Wir von den Sturmscharen waren zwar konfessionell gebunden, aber nicht ghettomäßig abgeschlossen.  Es bestand Aufgeschlossenheit zu anderen jugendbewegten Organisationen. 1933 kamen die Verbote.  Zum Beispiel wurde den Angehörigen der konfessionellen Jugendverbände am 19.  März auf Grund des § 14 des Polizeiverwaltungsgesetzes in Verbindung mit der Verordnung zum Schutze von Volk und Staat vom 28.  Februar 1933 für den Regierungsbezirk Köln im Interesse der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung bis auf weiteres untersagt:
 1. Jedes geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit.
 2. Das öffentliche Tragen von Bundestracht oder von Kleidungsstücken oder Abzeichen, die sie als Angehörige der konfessionellen Jugendorganisationen kenntlich machen.
 3. Das Mitführen oder Zeigen von Wimpeln oder Fahnen in der Öffentlichkeit.
 4. Der öffentliche Vertrieb oder das öffentliche Verteilen von Presseerzeugnissen konfessioneller Jugendverbände (Jugendzeitungen, Jugendzeitschriften).
 5. Jede sportliche oder volkssportliche oder geländesportliche Betätigung innerhalb der konfessionellen Jugendverbände.
In anderen Bezirken erfolgten ähnliche Verbote.  Die Kölner Pfarrgeistlichkeit erließ dagegen einen Aufruf:
"Mit heiliger Entrüstung haben wir am letzten Sonntag festgestellt, dass katholische Jugend, die sich zur Andacht in verschiedenen Kirchen versammelt hatte, vor der Kirche in unerträglicher Weise provoziert und misshandelt wurde.
Mit heiliger Entrüstung haben wir am letzten Sonntag erlebt, dass man vielerorts in Köln in St. Agnes, in St. Aposteln, in St. Ursula, in Zollstock nicht zurückschreckte vor der Heiligkeit des Gotteshauses.  Dass man mancherorts nicht zurückschreckte vor der Heiligkeit des Namens Jesu Christi, las man doch an auffallender, ja an heiliger Stelle: Chi Ro (die Anfangsbuchstaben des Namens Christi) krepiert.
Mit heiliger Entrüstung haben wir Schmählieder gehört auf die junge Kirche und ihre Priester...
Auch heute noch gilt das Wort unserer Bischöfe: Voll froher Hoffnung blicken wir hin auf unsere blühenden Jungmännervereine und Kongregationen.  Mit wehenden Fahnen, mit blütenweißen Bannern rücken sie von allen Seiten ein in die neue Zeit und schreiten in heiliger Begeisterung siegreich durch die Ärgernisse, Gefahren und Versuchungen der bösen Welt. Haltet rein und hoch euer Banner, das Banner der IMMACULATA: Es leuchtet euch zum Sieg und Frieden, zum zeitlichen und ewigen Glück... Da wir keine andere Möglichkeit haben, erheben wir von der Kanzel aus vor dem Angesichte Gottes und vor der hier versammelten Gemeinde feierliche Anklage und legen entschiedene Verwahrung ein.  Das Wirken der katholischen Jugend liegt offen vor euer aller Augen.  Gott der Herr und ihr Gläubigen gebt unserem Gewissen Zeugnis, dass jene Verleumdungen, mögen sie auch berghoch gehäuft werden, nicht an unsere Fußsohlen heranreichen.  Wir lassen uns nicht beirren und werden weiterwirken, dass Deutsche katholische Jugend bleibe die Jugend Christi!
Köln, den 4.2.1934                                   Die Pfarrgeistlichkeit der Stadt Köln"
Dieser Aufruf wurde auch in den Sturmscharen verbreitet.  Vier Sturmschärler aus Oberhausen klebten den Aufruf in der Nacht in der ganzen Stadt.  Daraufhin wurde die Oberhausener Sturmscharführung verhaftet.
Allerdings gab es ausgesprochen politischen Widerstand in den Sturmscharen nur bei einzelnen.  Aber es gab eine grundsätzliche Ablehnung der Verfolgung Andersdenkender, eine Ablehnung der Judenhetze, eine Ablehnung des Kriegskurses.  Es war nicht so, dass das jeder nur in seinem Inneren hatte, sondern das wurde auch formuliert.
Das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich erlaubte den katholischen Jugendverbänden nur die religiöse Betätigung.  Ein gewisser Betätigungsraum blieb also, der auch wertvoll war, denn es ist ja nicht gleichgültig, ob eine Anschauungsart übrig bleibt.  Und - wie es auch nicht anders sein kann - war die religiöse Betätigung mit politischen Elementen durchsetzt.
Die Sturmscharen waren ja quasi seit 1933 verboten; wandern konnten wir nicht mehr in Deutschland, also mussten wir ins Ausland fahren. 1934 haben wir eine vierzehntägige Fußwanderung durch Eupen-Malmedy, das zu Belgien gehörte, gemacht.
Auf diese Art und Weise konnten wir die Lebensformen der Sturmscharen noch längere Zeit aufrechterhalten.  Wir haben auf diesen Wanderungen über vieles diskutiert, auch über den Nationalsozialismus, mit dem wir ja nun zu tun hatten.
Unter dem Thema: Was kann man gegen den kommenden Krieg tun, trafen wir uns in Düsseldorf und Köln ein paar Mal mit Vertretern des verbotenen Kommunistischen Jugendverbandes.  Ich hatte ja schon vor 1933 Versammlungen des Kommunistischen Jugendverbandes besucht.  Mir ging es darum, die Glaubwürdigkeit christlicher Bemühungen und den geschichtlichen Wert des Christentums zu dokumentieren und mitzuhelfen, dem Verständnis zwischen Christen und Sozialisten zu dienen.
Die Tatsache der Massenerwerbslosigkeit um 1930 hatte ja auch innerhalb der katholischen Jugend zu Überlegungen geführt.  Die Erwerbslosen waren überwiegend Anhänger der "Linken".  Ich selber habe Klubs mit so seltsamen Namen wie "Piele-Klub", "Dickes Reis", "Baracken-Kuzorras" oder "Aschensport" organisiert.
Dazu kamen Erfahrungen nach 1933.  Ein Mann, der bei mir handwerkliche Arbeit verrichtet hatte, musste nach Holland emigrieren.  Ich schickte ihm etwas Geld, Schuhe und Lebensmittel.  Eine Frau erzählte mir, ihr Mann sei in der Haft totgeschlagen worden, die Polizei habe ihr aber vorgelogen, er habe sich erhängt.  Sie zeigte mir seine Hose, die sie zurückgeschickt bekommen hatte.  Auf der Hose waren noch Fußtritte von frisch gewichsten Schuhen sichtbar.  Es war damit zu sehen, wie er traktiert worden war.  Ich habe darüber auch mit anderen gesprochen.  Im Prozess wurde das als Gräuelpropaganda ausgelegt.  Obwohl es stimmte, war es strafwürdige Gräuelpropaganda.  Die Angriffe des Nationalsozialismus gegen die Arbeiterschaft und alle Andersdenkenden wurden immer massiver und die Abdrosselung aller Lebensäußerungen, die mit den ihren nicht übereinstimmten, immer bedrohlicher.  Es begann mit Ohrfeigen und Fußtritten auf der Straße, die von SA-Leuten freigiebig und im Bewusstsein ihres Sieges verpasst wurden, wenn die Hakenkreuzfahne von Passanten nicht gegrüßt wurde.  So entsinne ich mich eines Schreinermeisters aus Oberhausen, der von Männern einer vorbeimarschierenden braunen SA-Kolonne in die Gosse hineingeschlagen wurde und sein ganzes Leben lang unter einem Gehörschaden litt.  Diese Gewaltpraktiken endeten in so genannter Schutzhaft mit unmenschlichen Quälereien, Totprügeln und Erschießen auf der Flucht. 1929 war ich in die Zentrumspartei eingetreten.  Damals haben viele junge Katholiken, hauptsächlich von der Jugendbewegung beeinflusste und nun älter geworden oder geformt durch die pazifistischen Einsichten und Erfahrungen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg das Bestreben gehabt, politisch wirksam zu werden.  Wir bildeten lose Kreise, in denen neben religiösen, geistigen und kulturellen Problemen auch immer mehr politische Fragen behandelt wurden.  Hitlers "Mein Kampf" hatte ich schon früh gelesen.  Auch andere Teilnehmer dieser Kreise hatten sich mit den verschiedenen politischen Strömungen und der Massenarbeitslosigkeit, die gegen Ende der Weimarer Republik immer größer wurde, auseinander gesetzt und waren unzufrieden mit der Zentrumspartei, weil sie die nach unserer Auffassung wichtigsten Zeitaufgaben, worunter auch die Umgestaltung der Gesellschaft verstanden wurde, nicht in Angriff nahm.  Wir bildeten mit jungen Menschen aus dem ganzen Reich einen Arbeitskreis, der sich meist in Altenberg traf.  Zu unseren Diskussionen luden wir Referenten, z.B. Professor Dessauer, Walter Dirks oder Heinrich Mertens ein, die entweder selbst dem Kreis angehörten oder seine Bemühungen begrüßten.  Am 23.  März 1933 stimmte die Zentrumspartei dem "Ermächtigungsgesetz" zu, das die Regierung ermächtigte, auch ohne den Reichstag Gesetze zu erlassen.  Noch am gleichen Tag trat ich aus der Zentrumspartei aus.  Pfingsten 1934 traf sich unser Kreis das letzte Mal in Bendorf am Rhein.  Wir gaben uns keinen Täuschungen hin und waren der Meinung, dass der Nationalsozialismus nur noch außenpolitisch überwunden werden konnte.  Aber auch im Reich musste man etwas dagegen tun.
All diese Erfahrungen und Überlegungen führten auch zu Kontakten zum Kommunistischen Jugendverband.  Was kann man gemeinsam gegen den Kriegskurs tun, war die Frage.  Es kam zu einigen Kontakten auf Funktionärsebene.  Was daraus geworden wäre, weiß ich nicht.  Die ersten Ansätze wurden durchkreuzt durch relativ frühe Verhaftungen von Leuten aus dem Kommunistischen Jugendverband und durch unsere Verhaftungen.  Damals war das - ich kann es nicht anders nennen - idiotisch, dass die meisten Organisationen meinten, die Nazis allein besiegen zu können.
Über fünfzig Personen aus der Sturmschar und dem Katholischen Jungmännerverband wurden im Februar 1936 verhaftet.  Ein Schauprozess, der dann ein Jahr später vor dem Volksgerichtshof in Berlin stattfand, wurde vorbereitet.  Insgesamt wurden sieben Personen angeklagt.  Die anderen, die mit mir in Verbindung standen oder von denen die Gestapo Derartiges vermutete oder Kapläne, die ihre Meinung gesagt hatten, wurden wieder freigelassen.  Manche waren nur acht oder vierzehn Tage in Haft, einige jedoch bis zu einem Jahr.  Sie haben sich, auch in meinem Prozess, tapfer verhalten.  "Da scheint ja eine geheime Regie am Werke zu sein", sagte der Senatspräsident während des Prozesses, als er aus einigen Sturmschärlern nicht herausbekam, was er gerne herausbekommen hätte.
Wegen Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerten Umständen wurde ich zu elf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Reichssturmscharführer Franz Steber wurde zu fünf Jahren, Hermann Jülich zu zwei Jahren und Kaplan Kremer vom Friedensbund Deutscher Katholiken zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.  Die Hauptabsicht dieses Prozesses war, uns als Kommunistenfreunde und Defätisten zu denunzieren und damit den Katholizismus zu treffen.  Das kann man sehr gut an der Presseberichterstattung erkennen.
Die Nazis hatten ja nun ein Beispiel, das in ihre Propaganda passte.  Es stimmte, dass sich Funktionäre der Katholischen und Kommunistischen Jugend, getroffen hatten.  Es stimmte, dass wir gegen die als unheilvoll erkannte Rüstung Stellung bezogen hatten und für das Recht, unsere Auffassungen zu äußern, eintraten.  Aber die Nazis hatten sich insofern verrechnet, dass sie den großen Schlag gegen den Katholischen Jungmännerverband nicht ganz durchführen konnten.  Die Sturmschärler wurden keine Nazis.
Aus der in Belgien gedruckten und in Deutschland illegal verbreiteten Zeitschrift "Kameradschaft", Heft 1, 1937:
„... Es lag dem Naziregime vor allem auch daran, die angeklagten Jugendführer bei ihrer eigenen Gefolgschaft, der Masse der katholischen Jugend, in Missachtung zu bringen...“ So schreibt der "Angriff" am 13.  April 1937: "Der Fall R. ist mehr als der Fall eines kleinen Priesters.  R. ist der Repräsentant für die Geisteshaltung aller jener Kleriker, die in der krassen Nichtachtung des eigenen Volkes immer wieder ihre menschliche, moralische und religiöse Unzulänglichkeit beweisen.  Man muss mit den Fingern auf sie zeigen, sie sind die Schuldigen an Missverständnissen und Misstrauen.. Quertreiber der Nation und Zutreiber Moskaus."
Aber alle Versuche, Führung und Gefolgschaft zu trennen, scheiterten an der Wahrheitsliebe der "Sturmscharen".
Das "Verhör" dieser jungen Menschen wurde statt der beabsichtigten Anklage eine Ehrung für den verfolgten Priester und ein leuchtendes Beispiel bündischer und katholischer Treue.  Selbst der Goebbel‘sche "Angriff" muss bekennen:
"Alle diese jungen katholischen Zeugen stockten, schweigen in langen Zwischenräumen und sind alle darauf bedacht, nur ja nicht ihren Kaplan Dr. Rossaint zu belasten."
Es ist dem Naziregime nicht gelungen, die Geschlossenheit der katholischen Jugend zu sprengen, und zwischen Führung und Gefolgschaft einen Keil zu treiben.  Das Gegenteil wurde erreicht: "klarer denn vorher weiß die katholische Jugend, dass unter dem Naziregime kein Leben möglich ist, das ihrer christlichen Weltanschauung gerecht wird.  Und sie weiß auch, dass dieses Regime den Weg zur wirklichen Volkswerdung versperrt.

Aus: Präsidium der VVN/Bund der Antifaschisten, Porträt eines Aufrechten – J.C. Rossaint, Frankfurt a.M., 1982, S. 11ff
 
 

Meine Begegnung mit J.C. Rossaint
Ernst Woelki

26.04.1991
Hochwürdiger, lieber Herr Weihbischof!
Gerne komme ich Ihrem Wunsch nach, von meiner Begegnung mit Dr.  Joseph Rossaint zu berichten.
Am 03.03.1938 wurde ich in Köln zum Priester geweiht.  Bei einer Zusammenkunft unseres Semesters im Juni 1939 hatten die Meisten schon die Versetzung auf eine neue Stelle.  Darauf meldete ich mich freiwillig für einen Einsatz in der ostpreußischen Diaspora.  Der Personalchef, Prälat Hecker, sagte mir: „Ich warne Sie, ich kann bar zahlen. Ich habe hier ein Schreiben vom Bischof Keller.“ Es war die Kaplanstelle in Sensburg/Ostpreußen.  Ab Juni 194o verwaltete ich alleine die Pfarrstelle. Vor dem Einfall der Russen schickte ich meine Schwester nach Bonn ins Elternhaus.  Nach dem Einfall der Russen in Sensburg landete ich in den schrecklichen Wirren als Konchosarbeiter im benachbarten Kreis Rößel, im Dorf Damerau. Dort konnte ich in jeder Nacht mit vielen Menschen, die hier zusammen gepfercht waren, die heilige Messe feiern. Vom 10.-15. März war ich mit über 60 Männern im Keller des Bahnhofhotels in Bischofstein, der nahe liegenden Kleinstadt, eingesperrt. Es war so eng, dass keiner liegen konnte.  Dort traf ich auch einen Onkel und einen Vetter von mir.  Nachts fanden die Verhöre statt.  Ob einer Parteigenosse war oder nicht. Alle wurden verletzt herunter gebracht.  In der kleinen Uhrentasche der Hose trug ich in einem kleinen Leinentuch das Allerheiligste bei mir.  „Der Herr wird Euch eingeben, was Ihr sagen sollt.“ In der 5. Nacht wurde ich nach oben geholt.
„Komm her, Du Schwein!“ Es kam genau die Frage, die Ich mir in der ganzen Zeit überlegt hatte. „Wie stehst Du zum Kommunismus?“ Meine Antwort: „Ich bin Geistlicher aus Köln. Bei uns haben junge Kapläne den Kommunisten gesagt: ‚Ihr seid für die Arbeiter - wir auch!‘ Gibt es da einen Weg?“ Ich nannte Dr. Rossaint. Nun geschah das Unerwartete: Der Kommissar antwortete mir: „Was Du sagst, stimmt! Ich kenne Dr. Rossaint“. Ich wurde nicht geschlagen und in den Keller zurückgebracht. Am nächsten Morgen wurden fast alle, mit Namen gerufen und weggeführt. Durch das Kellergitter sah ich Onkel und Vetter in der Kolonne abmarschieren. Ich bin der Letzte, der die Verwandten gesehen hat.  Alle sind umgekommen.  Ich wäre damals auch mitgegangen, da man in der Not mit Verwandten zusammen bleiben will.  Vier mal wurde ich später dann verschleppt, wagte aber immer die Flucht.  Im Jahre 1986 erfuhr ich vom Ordinariatsrat Joh. Müller die Adresse von Dr. R. Sofort schrieb Ich ihm und bedankte mich dafür, dass sein Name mir damals das Leben gerettet hat.  Er antwortete mir sogleich:

„Lieber Herr Woelki !
Vielen Dank für Ihren Brief, der mir eine Kreuzung Ihren und meines Weges mitteilte. Vielleicht darf Ich Ihnen eine kleine Schrift zusenden, die meine Freunde zum 8o. Geburtstag herausgaben
Beste Grüsse
Ihr Jos.  Corn.  Rossaint“

Fünf Tage später rief ein Herr von der Französischen und Israelischen Botschaft an, der mich sprechen wollte.  Er blieb 4 Stunden und teilte mir mit, dass sie eine alte Kapelle im Elsaß gekauft haben und im Gedenken an R. von der Nonne Isar von Schulenburg ausgeschmückt werden soll. Er lud mich ein, den Einweihungsgottesdienst zu halten. Auf meine Frage, wie ich dazu komme, zeigte er mir eine Kopie meines Briefes an Dr. R..  Ich lehnte ab, weil Dr. R. mit den VVN engagiert ist. Er zeigte Verständnis für meine Ablehnung und bemerkte: „Uns gefällt das auch nicht!“ Dr. R. wurde damals nicht zum Tode verurteilt, da der französische Geheimdienst mit allem Einsatz des Sprechers der Französischen Katholiken, General Cotau, auf den Prozess Einfluss nahm. Zweimal hatte ich Dr. R. zu einem kurzen Besuch bei mir.
Herzlichen Gruß          Ernst Woelki
 

 

Zum Tode von J.C. Rossaint
Augustinus Frotz, Weihbischof

Liebe Mitbrüder!
Der Name unseres verstorbenen Mitbruders Dr. Joseph Cornelius Rossaint ist im Kölner Klerus nur noch wenigen Mitbrüdern bekannt.  Denen, die sich seiner erinnern, werden die Jahre 1936 bis 1937 als Höhepunkte des Vernichtungskampfes des NS-Regimes vor allem gegen die katholischen Jugendverbände und damit gegen die "verhasste Kirche" wieder lebhaft bewusst.  In Kaplan Rossaint sah die Geheime Staatspolizei einen Hauptagenten katholischer Jugendführer, die in Verbindung mit Sozialisten und Kommunisten Vorbereitungen zum Sturz des NS-Staates betrieben.  Eine Verhaftungswelle durch ganz Deutschland war die Folge.  Der Prozess Rossaint wurde zum Schauprozess, zum Katholikenprozess.  Der Völkische Beobachter, Münchener Ausgabe, schrieb am 16.4.1937: Katholisch-kommunistische Einheitsfront aufgedeckt.  Sechs Wochen vor der Verurteilung Dr. Rossaint's hatte die Enzyklika "mit brennender Sorge" von Papst Pius XI. die NS-Staatsführung zur Weißglut gebracht.  Kardinal Schulte hatte bei klarer Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung und deren Gewaltherrschaft besonders die Jugendseelsorger zur Besonnenheit ermahnt.  Kaplan Rossaint ging eigene Wege.  Ihn hatte eine leidenschaftliche Sorge um die politische Entwicklung in unserem Staat erfasst, um die Menschen jedweder Gesinnung in all ihren Nöten.  Er suchte die Versöhnung, den Frieden, auch durch Kontakte mit kommunistischen Organisationen.
Als 1987 das WDR-Fernsehen zu seinem 85. Geburtstag ein Portraitinterview vorbereitete, wurde ich nach meiner Bereitschaft gefragt, als Zeitzeuge und damaligen Diözesanjugendseelsorger eine Stellungnahme zu Dr. Rossaint und zu dem Echo in der damaligen Kirche von Köln abzugeben.  Ich nahm an und verwies auf die letzte Instanz des Gewissens, die Vorsicht im Urteile gebiete und Verurteilung verbiete.
Dr. Rossaint fühlte sich auch noch 1945 in seinem Gewissen verpflichtet, seinen Friedenskampf fortzusetzen.  Weil er während seiner Inhaftierung von Kommunisten, von denen viele seine Leidenskameraden waren, lebenserhaltende Hilfe erfahren hatte, glaubte er, durch sie und ihre Organisationen mehr als in unserer Kirche und im neuen Staat Verständnis und die ihm notwendig erscheinende Hilfe zu finden.  So wurde er bald zum Vorsitzenden des Bundes der Antifaschisten gewählt und zu einem der Vizepräsidenten der Internationalen Förderation der Widerstandskämpfer.  Literarisch und rednerisch war er in ganz Europa einschließlich der kommunistisch regierten Länder tätig.  Dabei war es immer sein Bestreben, als Christ zu wirken.  Er ist bewusst innerlich Priester geblieben und hat so gelebt.  Er konnte sich aber selbst auf Bitten vieler Freunde hin nicht entschließen, zum Dienst in unserer Kölner Kirche zurückzukehren.
Nach dem erwähnten Interview im WDR-Fernsehen ging Dr. Rossaint gerne auf meinen Vorschlag zu einer persönlichen Begegnung ein.  In Bad Neuenahr Bodendorf kam es in seiner Wohnung zu einem guten, sehr erfreulichen Gespräch.  Es fand seine Fortsetzung durch gelegentliche weiterführende Korrespondenz.
So war es mir eine liebe Pflicht, nach Bekanntwerden seiner schweren Erkrankung sofort an sein Krankenlager zu eilen.  Vom Hausgeistlichen des Maria-Hilf-Krankenhauses in Bad Neuenahr erfuhr ich dann von der Bitte des Kranken um das Geschenk der sakramentalen Lossprechung der hl.  Kommunion und der Krankensalbung.  Bei einem zweiten Besuch, ein Tag vor seinem Tode, hatte ich die Freude zu erleben, wie der Patient noch ganz bewusst ein Grußwort und die Segenswünsche unseres Erzbischofs Kardinal Meisner entgegennahm.  Das Schlusswort des Briefes habe ich sehr langsam und betont vorgelesen: In der Gemeinschaft unseres Priestertums grüße ich Sie in herzlicher Verbundenheit ihr Joachim Kardinal Meisner.
Köln, den 18.  April 1991                                                 gez. + Augustinus Frotz

Außer Bbr. Rossaint waren auch noch andere Bbr.Bbr. wegen ihres unerschrockenen priesterlichen  Dienstes und ihres mutigen Eintretens für Glaube und Kirche harter NS-Verfolgung ausgesetzt:
Otto Kohler (? 31.10.1984; Pfr. i.R.; Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Kl.), 1944/45 in KZ-Haft;
HeinrichRoling (Alterssenior unserer Verbindung), 1937/38 wegen sog. „Kanzelmißbrauchs“ im Gefängnis.

Ein kürzlich erschienenes Buch über Dr. Rossaint ist ein wertvoller Beitrag zum Weg deutscher Katholiken in der NS-Diktatur. Neben der Biographie Rossaints mit vielen unbekannten Einzelheiten bietet zahlreiche bisher unveröffentlichte Texte und Dokumente von und über Dr. Rossaint. Interessant sind die zahlreichen Abbildungen.
K.H. Jahnke / A. Rossaint: Dr. Joseph Cornelius Rossaint (1902-1991). Aus seinem Leben und Werk. 234 S. mit zahlreichen Abb., VAS Frankfurt 1997, 39,80 DM.